LB 27 Libanon
Der Libanon bildet in religiöser Hinsicht eine Ausnahme im ganzen Nahen Osten. Er ist der einzige arabische Staat, in dem der Präsident kein Muslim ist. Christen und Muslime teilen sich die Macht so, wie es zur Zeit der Gründung des Libanon abgesprochen und in den Folgejahren nicht wesentlich verändert wurde. Dabei erhielten die Religions- und Bekenntnisgemeinschaften eine staatstragende Rolle. Es ist ein archaisches System, das Konfessionalismus genannt wird, aber dennoch ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Christen und Muslimen in diesem arabischen Staat ermöglicht.
Im Libanon herrscht Religionsfreiheit. Doch diese wird nicht vom Individuum her gedacht, sondern von der Religionsgemeinschaft. Das führt zur Privilegierung anerkannter Religionsgemeinschaften, aber nicht zur Einschränkung des individuellen Rechtes, sich irgendeiner oder keiner Religion anzuschließen, genauso wenig wie zu der Einschränkung des Rechts, seine Religion auszuüben. Wohl aber kommt es für westliche Vorstellungen zu eigenartigen Konstruktionen, wenn sich nicht anerkannte Religionen anerkannten Religionen anschließen müssen, um alle politischen Rechte zu erlangen.
Bei der Regelung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften im Libanon wurde, wie in den anderen arabischen Staaten auch, das Personenstandsrecht in die Hände der Religionsgemeinschaften gelegt. Ein ziviles Personenstandsrecht ist nicht vorgesehen. Soweit das konfessionelle und religiöse Personenstandsrecht Diskriminierungen einzelner Mitglieder der Religionsgemeinschaft vorsieht, werden diese auch vom Staat geduldet und anerkannt. Hier hat der Staat kein Eingriffsrecht, um Diskriminierungen zu unterbinden.
Da der Staat den Religionsgemeinschaften eine große Freiheit gibt, können sie sich auch gesellschaftlich stark engagieren. So nehmen die Konfessions- und Religionsgemeinschaften viele soziale Aufgaben des Staates wahr. Das führt aber auch dazu, dass die Religionsgemeinschaften ihre Mitglieder über die sozialen Einrichtungen an sich binden. Sowohl das politische System, der Konfessionalismus, wie auch das Sozialsystem der Konfessionen und gesellschaftliche Wertvorstellungen lassen es kaum zu, dass ein Mitglied die Konfessionsgemeinschaft verlässt – unabhängig von den konkreten Glaubensüberzeugungen.
Schon bei der Gründung des Libanon haben seine Väter Konfessionalismus als ein archaisches System angesehen, das überwunden werden muss. Doch bisher wurden nur kleine Schritte auf dem Weg zu seiner Überwindung gemacht. Sicherlich hat aber auch dieses System viel dazu beigetragen, dass religiöse Auseinandersetzungen im Libanon selten waren und die Religionsfreiheit immer gegeben war. Der Bürgerkrieg und andere Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen im Libanon waren meist politisch motiviert, Religion und Konfession wurden hier gelegentlich missbraucht. Mit dem Bürgerkrieg in Syrien allerdings treten im Libanon auch Tendenzen zu religiösen Auseinandersetzungen auf. Die Mehrheit der Libanesen wehrt sich dagegen. Ob es ihr gelingt, den Religionsfrieden zu wahren, muss die Zukunft zeigen.
missio engagiert sich für das friedliche Zusammenleben der Konfessionen und Religionsgemeinschaften, indem es den interreligiösen Dialog fördert oder im Rahmen von diakonisch ausgerichteten Programmen syrische und irakische Flüchtlinge unterstützt. (2015)
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